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Permanente Videoüberwachung eines ArbN kostet den ArbG 15.000 EUR

von RAin Heike Mareck, Dortmund
| Eine permanente unzulässige Überwachung nahezu aller Betriebsräume und des Arbeitsplatzes über 22 Monate trotz Widerspruchs des betroffenen ArbN ist eine schwere Verletzung des Persönlichkeitsrechts. Dies rechtfertigt eine Geldentschädigung von 15.000 EUR. |
Sachverhalt
Das Betriebsgelände umfasst 33.000 qm ‒ davon hat die Betriebshalle insgesamt 15.000 qm. Das nicht eingefriedete Betriebsgelände befindet sich in einem Industriegebiet. Die Zufahrt ist mit einer Schranke gesichert, die von einem Pförtner bedient wird.
Die Betriebshalle besteht aus einer Produktionshalle, einem Pausenraum, Umkleideräumen, WCs, zwei Büros und einem angrenzenden Lagerraum. Innerhalb der Produktionshalle, des Lagers sowie der Büroräume befinden sich 34 Videokameras. Die Videokameras im Lager, in der Produktionshalle und in einem Verbindungsdurchgang zeichnen 24 Stunden am Tag die gesamte Fläche mit einer Speicherdauer von jedenfalls 48 Stunden auf. Auch innerhalb der Büroräume sind Kameras so ausgerichtet, dass sie potenziell die gesamte Räumlichkeit erfassen. Eine Tonaufnahme erfolgt nicht. Die Bilder der Videokameras können „live“ so ausgewertet werden, wie sie aktuell aufgenommen werden. Durch Hinweisschilder, die sich an jeder Zugangstür befinden, wird auf die Videoüberwachung aufmerksam gemacht. Der ArbN war als Produktionsmitarbeiter beschäftigt. Im Arbeitsvertrag heißt es: „Der Arbeitnehmer ist damit einverstanden, dass im Rahmen der Zweckbestimmung des Arbeitsverhältnisses und unter Beachtung der Vorschriften des Datenschutzes Ihre personenbezogenen Daten verarbeitet werden können.“
Der ArbN war überwiegend in der Produktionshalle tätig. Hinter seinem Arbeitsplatz ist eine Videokamera installiert, die im Wesentlichen den sicherheitsrelevanten Auf- und Abladebereich der Maschine aufzeichnet. Der ArbN stand während seiner Tätigkeit mit dem Rücken zur Kamera. Sobald er sich umdrehte oder seinen Arbeitsplatz verließ, wurde er von vorn aufgenommen. Über weitere Kameras konnte kontrolliert werden, ob und wann der ArbN sich auf dem Weg zum Büro, zum Pausenraum oder zum WC befindet. Die Pausen-, Umkleide- und Sanitärräume selbst wurden von der Kameraüberwachung nicht erfasst.
Die Kameraüberwachung war bereits 2023 vor dem Arbeitsgericht Dortmund streitig und wurde durch Vergleich beendet. Hier verpflichtete sich der ArbG unter anderem dazu, dem ArbN Auskunft über die Kameras zu erteilen, insbesondere bezüglich deren Betriebszeiten, Anzahl, Aufnahmen und Speicherdauer. Der ArbG erteilte Auskunft über den Betrieb von Videokameras, woraufhin der ArbN diese rügte, da die Auskunft inhaltlich falsch und unzureichend sei. Die mitgeteilten Zwecke der Videoüberwachung rechtfertigten den Umfang der Kameraüberwachung nicht. Mit seiner Klage verfolgte der ArbN seine Ansprüche weiter. Nachdem der ArbG den ArbN betriebsbedingt gekündigt hatte, schlossen die Parteien einen Vergleich zur Erledigung des Kündigungsrechtsstreits und verständigten sich auf eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Der ArbN nahm den ArbG noch auf Unterlassung der Videoüberwachung und Videoaufzeichnung, auf Zahlung eines Schmerzensgelds sowie auf Auskunftserteilung in Anspruch. Die permanente und dauerhafte Videoüberwachung sei nicht gerechtfertigt. Die ArbN seien einem ständigen Anpassungsdruck ausgesetzt.
Das Arbeitsgericht Dortmund wies die Klage auf Auskunftserteilung ab und gab ihr im Übrigen statt. Es verurteilte den ArbG zu einer Geldentschädigung von 15.000 EUR, da ein schwerer rechtswidriger Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des ArbN vorliege.
Entscheidungsgründe
Das LAG Hamm (28.5.25, 18 SLa 959/24, Abruf-Nr. 250401) kam zum gleichen Ergebnis. Der ArbG habe das Persönlichkeitsrecht des ArbN durch eine übermäßige Kameraüberwachung in rechtswidriger, schuldhafter und erheblicher Weise verletzt. Der Anspruch folge aus § 280 Abs. 1 BGB und aus § 823 Abs. 1 BGB, jeweils in Verbindung mit § 253 Abs. 2 BGB. Das Arbeitsgericht habe die Anforderungen an die Geldentschädigung unter Bezugnahme auf die einschlägige höchstrichterliche Rechtsprechung (BAG 19.2.15,8 AZR 1007) dargelegt. Die erkennende Kammer trete dem bei.
Der ArbG greife durch die Videoaufzeichnung in das Persönlichkeitsrecht des ArbN ein. Das Persönlichkeitsrecht umfasse auch das Recht am eigenen Bild. Der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht sei rechtswidrig gewesen. Die Anforderungen im BDSG und der DSGVO an eine zulässige Datenverarbeitung würden den Schutz des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung und am eigenen Bild (BAG 23.8.18, 2 AZR 133/18; BAG 19.2.19, 8 AZR 1007/13; BAG 12.2.25, 6 AZR 845/13) konkretisieren und aktualisieren. Das Anfertigen von Videoaufnahmen sei eine Verarbeitung personenbezogener Daten im Sinne des Art. 4 Nr. 1 und 2 DSGVO. Hierzu das LAG im Einzelnen:
- Die Zulässigkeitsvoraussetzungen für die Videoüberwachung öffentlich zugänglicher Räume gemäß § 4 BDSG kämen im Streitfall nicht zum Tragen. Bei der Betriebshalle handele es sich nicht um öffentlich zugängliche Räume.
- Die Videoüberwachung sei nicht nach § 26 Abs. 1 BDSG zulässig.
- § 26 Abs. 1 S. 1 BDSG scheide als rechtliche Grundlage für die Datenverarbeitung aus, da sie die Anforderungen, die Art. 88 DSGVO an Vorschriften des nationalen Rechts stellt, nicht erfülle (BAG 9.5.23, 1 ABR 14/22).
- § 26 Abs. 1 S. 2 BDSG scheide aus: Anhaltspunkte dafür, dass der ArbN oder ein anderer ArbN eine Straftat begehen würden, lägen nicht vor. Bei Manipulationen an den Maschinen, die sich in der Vergangenheit zugetragen haben sollen, handele es sich nicht um Straftaten. Der Einbruchsversuch im Frühjahr 2024 sei aufgeklärt. Sonstige Anhaltspunkte für Straftaten, die eine Überwachung im vorgesehenen Umfang zu ihrer Aufdeckung als erforderlich erscheinen ließen, seien nicht ersichtlich.
Die Videoüberwachung sei auch nicht nach Art. 6 DSGVO zulässig:
- An einer wirksamen Einwilligung des ArbN im Sinne des Art. 6 Abs. 1 lit. a DSGVO fehle es. Zwar habe sich der ArbN gemäß des Arbeitsvertrags mit der Verarbeitung personenbezogener Daten einverstanden erklärt. Damit habe er jedoch nicht wirksam in die Videoüberwachung eingewilligt. Es fehle schon an der erforderlichen Freiwilligkeit der Einwilligung (§ 26 Abs. 2 S. 1 BDSG, Art. 7 Abs. 4 DSGVO). In Maßnahmen der Mitarbeiterüberwachung kann durch den Abschluss des Arbeitsvertrags nicht vorab wirksam eingewilligt werden. Der Abschluss des Arbeitsvertrags hänge von der Erklärung der Einwilligung ab. Die Einwilligung bringe dem ArbN in dieser Situation nur Nachteile. Es komme hinzu, dass eine Belehrung über das Widerrufsrecht gemäß § 26 Abs. 2 S. 4 BDSG nicht erteilt worden und die Erklärung der Einwilligung von den übrigen arbeitsvertraglichen Vereinbarungen nicht gemäß Art. 7 Abs. 2 S. 1 DSGVO klar unterscheidbar sei.
- Die Videoüberwachung sei nicht nach Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO zulässig. Datenverarbeitende Maßnahmen, sollen sie nach Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO statthaft sein, müssten einer Verhältnismäßigkeitsprüfung standhalten (EuGH 11.12.19, C‒708/18). Das ergebe sich bereits aus dem Wortlaut der Vorschrift. Im Streitfall sei die Videoüberwachung unverhältnismäßig.
Auch die weiteren Argumente des ArbG zogen vor Gericht nicht:
- Hinweis auf einen Diebstahl beim Nachbarn und Verweis, die Kameraüberwachung diene der Verhinderung von Straftaten und Vandalismus: Hier fehle es an der Eignung der Maßnahme. Eine Kameraüberwachung in der Betriebshalle könne die aus Sicht der ArbG drohenden Gefahren auf dem Betriebsgelände nicht oder allenfalls teilweise abwenden oder dokumentieren. Die Überwachung des Außenbereichs sei ein milderes Mittel.
- Hinweis, in der Betriebshalle befänden sich Maschinen zur Stahlbearbeitung, hochwertiges Werkzeug sowie Materialvorräte. Dies könne die Überwachung im vorliegenden Ausmaß nicht rechtfertigen. Der ArbG habe nicht vorgetragen,
- an welchen Standorten in der Halle sich diese Gegenstände befinden,
- inwieweit diese Erwägungen auf den Arbeitsplatz des ArbN zuträfen,
- inwiefern aufgrund von Vorkommnissen in der Vergangenheit ein nennenswertes Sicherheitsrisiko bestehe. Es sei nicht ersichtlich, dass es zu einer Sachbeschädigung, einem Diebstahl oder einem Diebstahlsversuch durch die in der Halle tätigen ArbN gekommen sei.
- Hinweis, es könne zu Manipulationen an Maschinen kommen: Es lasse sich nicht feststellen, inwiefern es in der Vergangenheit zu derartigen Manipulationen gekommen sei. Der ArbG habe die Manipulationen nur pauschal behauptet und nicht konkretisiert. Zwar seien Manipulationen an Maschinen grundsätzlich denkbar. Wolle der ArbG durch die vorliegende Kameraüberwachung aber nur einer abstrakten Manipulationsgefahr begegnen, sei die Maßnahme offenkundig unverhältnismäßig.
- Hinweis auf beabsichtigte Nachverfolgung von Maschinenausfällen: Hier sei die Kameraüberwachung unverhältnismäßig. Der ArbG habe nicht dargelegt, in welcher Häufigkeit es in der Vergangenheit zu Ausfällen von Maschinen gekommen sei, und ob der Arbeitsplatz des ArbN davon betroffen gewesen sei. Es sei nicht dargelegt, welche Schäden bei einem Ausfall von Maschinen drohten und inwiefern zur Abwendung dieser Schäden die intensive Kameraüberwachung erforderlich sei.
- Der Hinweis, die Kameraüberwachung erfolge, um nachweisen zu können, dass korrektes Material verladen werden würde, sei nicht geeignet, die Rechtmäßigkeit der Überwachungsmaßnahme darzutun.
- Dass eine Löschung der Aufzeichnungen nach 48 Stunden erfolge, bedeute, dass die Kameraaufzeichnung als Beweismittel nicht mehr zur Verfügung stehe, wenn es zu einem Streit um die Verladung des ordnungsgemäßen Materials komme.
Der ArbG habe schuldhaft gehandelt, da er die Überwachungsmaßnahme vorsätzlich durchgeführt habe. Zwar sei zugunsten des ArbG zu berücksichtigen, dass die Überwachung nicht heimlich, sondern offen stattgefunden habe. Aber es habe die Überwachung in einem besonders langen Zeitraum stattgefunden. Außerhalb der Pausen-, Umkleide- und Sanitärräume habe es in der Betriebshalle keinen Raum gegeben, in den sich der ArbN zum Schutz vor der Kameraüberwachung hätte zurückziehen können.
Der Zugriff auf die Bilddaten sei jederzeit durch mehrere Personen möglich gewesen. Die eingesetzte Überwachungstechnik erlaube nicht nur, Einsicht in aufgezeichnete Kameradaten durch nachträgliches „Abspielen“ zu nehmen; vielmehr habe auch die Möglichkeit einer „Live-Überwachung“ durch Einsichtnahme in die aktuell laufenden Kameraaufzeichnungen bestanden. Es entspräche allgemeiner Lebenserfahrung, dass dadurch ein extrem hoher Anpassungsdruck für den ArbN ‒ und die anderen in der Halle tätigen ArbN ‒ hervorgerufen worden sei. Eine Modifikation habe bis zum Ende der Beschäftigungszeit des ArbN nicht bestanden und sei auch nicht konkret in Aussicht gestellt worden.
Relevanz für die Praxis
Wie rechtfertigte das Arbeitsgericht und LAG die Höhe des Schadenersatzes? Hier bezogen sich die Richter auf folgende Entscheidungen:
- LAG Mecklenburg-Vorpommern (25.5.19, 2 Sa 214/18): Überwachung des ArbN durch drei Kameras im nicht öffentlich zugänglichen Bereich der Tankstelle für einen Zeitraum von mehr als acht Monaten: Verurteilung des ArbG zur Zahlung einer Geldentschädigung in Höhe von 2.000 EUR.
- LAG Hamm (30.10.12, 9 Sa 158/12): Überwachung eines ArbN über einen Zeitraum von 20 Monaten durch zwei Kameras für einen Zeitraum von 15 bis 20 Minuten je Arbeitstag = Geldentschädigung in Höhe von 4.000 EUR.
- Hessische LAG (25.10.10, 7 Sa 1586/09): Verurteilung des ArbG zur Zahlung einer Geldentschädigung in Höhe von 7.000 EUR für eine dreimonatige Dauerüberwachung.
Die im Streitfall erfolgte Kameraüberwachung war deutlich intensiver als in den Sachverhalten, die diesen Entscheidungen zugrunde lagen. Unter Berücksichtigung der Geldentwertung und des nicht geringen Verschuldens des ArbG ist eine Geldentschädigung in Höhe von 15.000 EUR angemessen. Der ArbG setzte sich in eklatanter Weise über die Vorgaben des Datenschutzrechts hinweg. Anhaltspunkte dafür, dass er hätte glauben dürfen, sein Vorgehen seien rechtmäßig, sind nicht ersichtlich. Auch brachte der ArbG nicht vor, sich vor der Installation der Kameraüberwachungsanlage datenschutzrechtlich beraten lassen zu haben. Zudem handelt es sich angesichts der Dauer und Intensität der Überwachung um einen besonders schweren Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des ArbN.