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  • 01.07.2007 | Gläubigertaktik

    Schuldner arbeitet, Dritter kassiert: Was macht der Gläubiger?

    Erbringt der Schuldner aufgrund eines „letter of intent“ der Gegenseite Werkleistungen, überlässt er den Auftrag jedoch einem Dritten, der den vollen Werklohn erhält, können die vom Schuldner erbrachten Werkleistungen im Verhältnis zum Dritten als unentgeltliche Leistung anfechtbar sein (BGH 19.4.07, IX ZR 79/05, Abruf-Nr. 071802).

     

    Sachverhalt

    Der Schuldnerin war ein Auftrag avisiert. Sie hatte aufgrund einer verbindlichen Absichtserklärung („letter of intent“) bereits mit den Arbeiten begonnen. Es fehlte nur die endgültige Vertragsunterzeichnung. Bei einer Gesellschafterversammlung stellte sich eine Überschuldung dar. Daher beschloss die Versammlung, dass der akquirierte Auftrag nicht übernommen werde, da die Liquiditätsausstattung der Schuldnerin einen solchen Auftrag nicht zulasse. Zugleich hat der Beklagte diesen Auftrag übernommen und den gesamten Profit erhalten. Zwei bereits gestellte Rechnungen wurden storniert. Der Insolvenzverwalter hat unter dem Gesichtspunkt der Insolvenzanfechtung nach § 134 InsO Zahlung des Gegenwerts der stornierten Rechnungen nebst Zinsen mit der Behauptung gefordert, die Schuldnerin habe bis zur Vertragsunterzeichnung durch den Beklagten mindestens 60 Prozent der dann vertraglich vereinbarten Leistungen erbracht.  

     

    Entscheidungsgründe/Praxishinweis

    Vorliegend kommt ein Anspruch aus § 143 Abs. 1, § 134 Abs. 1 InsO in Betracht. Nach § 134 Abs. 1 InsO ist eine unentgeltliche Leistung des Schuldners anfechtbar, es sei denn, sie ist früher als vier Jahre vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen worden (Goebel VE 01, 23, 37; 52). Auch wenn die Entscheidung zum Insolvenzrecht ergangen ist, kann sie auf die Einzelzwangsvollstreckung übertragen werden und entfaltet hier ihre Bedeutung. Kommt es nicht zur Insolvenz, kann die geschilderte Konstellation nämlich auch in der Einzelzwangsvollstreckung zur Anfechtung nach § 4 AnfG führen. Danach ist die unentgeltliche Leistung des Schuldners unter exakt den gleichen Voraussetzungen anfechtbar.  

     

    „Leistung“ des Schuldners i.S.d. § 134 InsO und damit auch des § 4 AnfG ist jede Schmälerung des Schuldnervermögens, durch die die (Insolvenz-) Gläubiger benachteiligt werden (HK-InsO/Kreft, 4. Aufl., § 134 Rn. 6). Die Schuldnerin hatte hier wesentliche Auftragsteile erledigt. Dazu waren bis zur Auftragsübernahme durch den Beklagten noch Mitarbeiter der Schuldnerin vor Ort tätig und sind von ihr bezahlt worden. Der arbeitsvertragliche Anspruch auf die Dienste des Arbeitnehmers besitzt im Allgemeinen ebenfalls einen objektiven Verkehrswert (BGH WM 04, 540). Sieht der Schuldner davon ab, dafür das erzielbare Entgelt zu verlangen, vermindert er die Haftungsmasse, aus der die Gläubigergesamtheit befriedigt werden soll. Dies ist eine unentgeltliche Leistung der Schuldnerin, die anfechtbar ist.